Dienstag, 22. August 2017

Die Wahl zwischen Pest & Cholera: Klaps oder Pferde fesseln

Muss Pferdetraining eigentlich immer nur lieb und nett sein? 


Kuscheln ist zwar nett, aber es sollte alles zu seiner Zeit sein und vor allem
sollten wir das Pferd um Erlaubnis fragen, es streicheln zu dürfen
Diese Frage sollte man mal einem Manager stellen, denn wenn der immer lieb und nett ist, dann ist er in seinem Job falsch, aber so was von. Im Pferdetraining wird das aber erwartet, dass der Trainer stets und ständig mit Samthandschuhen agiert, egal, wie das Pferd sich verhält. In diesem Zusammenhang habe ich im letzten Monat den Blogbeitrag: "Pferd mit der Schaufel niedergestreckt" geschrieben und betont, dass ich natürlich nicht befürworte, Pferde mit Schaufeln zu schlagen, aber ein paar Gedanken zum berühmt-berüchtigten Klaps niedergeschrieben haben. Zusammengefasst:

  • Wir setzen dem Pferd, das entgegen, was es uns entgegen setzt PLUS 100 Gramm
  • Wir haben keinen Groll dabei im Bauch, so dass es ein Spiel bleibt
  • Wir wählen so leichte Aufgaben, dass eine Überforderung ausgeschlossen wird
  • Wir gehen anders vor, wenn Angst im Spiel ist, isbd. wenn Pferde einfrieren vor Angst
  • Unsere Phase 4 setzen wir ein einziges Mal kurz und knackig ein, so dass das Thema geklärt ist und wir keine Dauernörgler beim Pferd werden.

Heute geht es weiter mit Teil 2, denn nur weil Pferdetraining nicht immer lieb und nett sein muss, heißt das noch lange nicht, dass man dem Pferd alles Erdenkliche antun darf. Es gibt ein paar wenige Dinge, die man unbedingt durchsetzen sollte und zwar Übungen, die uns den Grundrespekt sichern und zeitgleich so einfach sind, dass kein Pferd damit überfordert ist, z.B. ein Schritt rückwärts, ein Schritt die Vorhand oder Hinterhand bewegen, aber der Gegenpol ist das Verständnis fürs Pferd und der Respekt vorm Pferd, der uns dazu bringt, sich ins Pferd einzufühlen. Es gibt schließlich auch hochsensible Pferde, denen man Zeit geben muss. Die Kunst ist es eben, das jeweilige Pferd einzuschätzen. Die meisten Pferde verstehen aber durchaus, wenn man ihnen abverlangt, dass sie ausweichen sollen - nur ein kleines bisschen, denn genau das verlangen auch ihre Artgenossen von ihnen - egal wie das jeweilige Pferd tickt. Wichtig ist, dass das Ganze ein Spiel ist. Wut oder Frustration hat im Pferdetraining nichts zu suchen.

Menschen werden ständig von ihren Pferden rumgeschubst und merken es nicht




Ausgelassenes Pferd (Foto: Katharina Erfling)
Ich habe dieser Tage eine Kundin verloren, weil ich ihrem Pferd einen Klaps gegeben habe, weil es massiv in meinen persönlichen Bereich eingedrungen ist und Anstalten machte, mich herumzuschubsen. Man könnte dieses Pferd fast schon gemeingefährlich nennen, weil es schon seit 14 Jahren die Stallgemeinschaft in Angst und Schrecken versetzt: Es tritt Leute, reißt sich auf dem Weg zur und von der Weide los und hat seiner Besitzerin dabei die Hände verbrannt und das durch ihre Handschuhe hindurch. Zum Glück ist es dann nicht in den Straßenverkehr gerannt. Sie hat mich daher um Hilfe gebeten. Ich habe selten monatelang Zeit, um ein Pferdeproblem zu lösen, sondern arbeite z.T. sogar in 60-Minuten-Einheiten, weil die Leute sich mehr Unterricht schlicht nicht leisten können. Dieses Pferd versuchte nun mich durch die Gegend zu schubsen und weigerte sich anschließend standhaft einen Schritt zur Seite zu gehen, insbesondere beim Vorhand-Weichen (ein fast sicheres Zeichen dafür, dass man es mit einem selbstbewussten Pferd zu tun hat), also hat es von mir einen Klaps mit dem Stick auf der Brust erhalten, wobei die Besitzerin mich fragte, ob das nicht Gewalt sei. Ich erklärte ihr, dass Gewalt auch etwas mit der inneren Haltung zu tun hat und finde es wichtig, dass ein solcher Klaps ein Spiel ist - frei von Groll, Frust und Wut - zumal dieses Pferd ja auch keine Scheu hat, Menschen gegenüber gewalttätig zu sein.
Meine Ex-Kundin gehört zu den Leuten, die in ihrer Jugend einmal ein paar Reitstunden hatten, seit Jahren nicht geritten sind und sich dann ausgerechnet das schwierigste Pferd im Stall kaufen, weil es erstens nicht so viel kostet und zweitens ja so nett guckt ... sagen zumindest die kleinen Töchter.
Das Pferd wurde den Kindern gekauft, obwohl jede Menge Horrorgeschichten von Schandtaten dieses Pferdes kursieren. Immerhin hat sie sich für geschlagene zwei Einheiten kompetente Hilfe gesucht: Bei der zweiten Stunde kam mir das Pferd, das sich sonst immer losreißt, sogar schon entgegen gelaufen, weil Pferde so gar nicht erwarten, dass man sie mit Wattebäuschen bewirft und weil ich neben dem kleinen Klaps auf der anderen Seite auch versucht habe, das Pferd zu verstehen und es ernst genommen habe in seinen Bedürfnissen. Aber einen Tag später - komischerweise nach dem die Besitzerin Reitunterricht mit dem Pferd genommen hat - wurde mein Natural Horsemanship Training beendet. Die Reitlehrerin hatte nämlich eine viel leichtere Löstung parat, um das Pferd gefügig zu machen und das schimpft sich dann auch noch gewaltloses Training. Eine Lösung, die fürs Pferd der blanke Horror sein muss. Dieses Pferd kann nämlich geritten werden und zwar mit Ausbindern. Weil das Pferd in dieser Fesseltechnik ja reitbar ist, gibt es da auch noch zwei Reitbeteiligungen: So ein Pferd kostet ja Geld, muss ja irgendwie wieder reinkommen, auch wenn die eine Reitbeteiligung reiterlich eher auf Anfängerniveau unterwegs ist. Also mich wundert es jedenfalls nicht, dass sich dieses Pferd nur schwer einfangen lässt, wenn Reiten mit Schmerz verknüpft ist und seine Befindlichkeiten niemanden interessieren.

Verschnürt wie ein Weihnachtspaket - soll das etwa gewaltloses Training sein?


Queenie ist dagegen: Dieses Mal gegen den Ausbinder, aber fünf Minuten
pro Seite an der Longe ist was anderes, als Ausbinder zum reitbar machen
Aber wenn das Pferd verschnürt ist, wie ein Weihnachtspaket, müssen weder Besitzer noch Reitbeteiligungen ordentlich reiten lernen, nur abmachen darf man die Dinger eben nicht. Sobald sie abgenommen werden, rennt das Pferd nämlich los: Ich nehme an vor Schmerz. Die angeblich gewaltlose Besitzerin, die mir stolz sagt, dass ihre zehnjährige Tochter das Pferd nach den Sommerferien dann auch noch reiten soll, hat so wenig Ahnung von Pferden und Muskelaufbau, dass sie nicht bedenkt, dass ein Muskel, der über mehrere Minuten angespannt wird, schmerzhaft brennt und sogar geschädigt wird (wie genau sich das mit der Rollkur verhält habe ich HIER für das Pferdeportal 4my.horse erklärt). Die Diskussion über die Rollkur ist entweder an der Dame vorbei gegangen oder sie hat auf Facebook gelesen, dass alles tutti ist, solange das Pferd nicht hinter die Senkrechten gerät. Gelegentlich einmal kurz hinter der Senkrechten hat aber nichts mit Rollkur zu tun, solange das Pferd immer wieder in die Entspannung entlassen wird.
Als Konsument des alltäglichen Facebook-Wahnsinns warte ich dennoch nur darauf, dass die Dame irgendwann mal Fotos präsentiert, worauf das Pferd mit Halsring oder mindestens gebisslos mit der Tochter oben drauf fotografiert wird und ganz Facebook Beifall klatscht.
Eine ähnlich unbedarfte Dame ging mit ihrem dreijährigen Pferd, das erst wenige Wochen unterm Sattel ist, ins Gelände und stürzte. Der Stallgemeinschaft wurde eine rührselige Geschichte aufgetischt, wonach das Pferd sich erschrocken hätte, zur Seite gesprungen sei und brav neben der Besitzerin gewartet haben soll, bis diese sich aufgerappelt hatte. Die Stallgemeinschaft war genauso beeindruckt wie die Facebook-Nutzer ob dieser rührseligen Vertrauens- und Große-Liebe-zwischen-Pferd-und-Mensch-Story.
Diese wunderschönen Geschichten klingen wie aus dem Märchenbuch, haben mit dem Märchenbuch aber meist nur eins gemeinsam: Sie sind nicht wahr. Denn ein mit dem Fahrrad vorbeifahrender Jäger hat die Dame mit dem dreijährigen Pferd kurz vorm Sturz getroffen und ein Pferd gesehen, das im Affenzahn unkontrollierbar durchs Gelände preschte, während sich die Besitzerin mit Ach und Krach am Sattel fest klammerte. Den Sturz selbst konnte der Jäger nicht beobachten, denn die beiden waren ratzfatz seinem Blickfeld entschwunden, so halsbrecherisch war das Tempo.

Nicht immer alles glauben, was einem die Leute weis machen wollen


Solche Rosa-Wattebausch-Reiter erzählen dann auch gerne, dass sie ihrem Pferd noch nie im Leben einen Klaps gegeben haben. Wenn es stimmt, kommt oft genug ein derart unkontrollierbares Pferd wie in den Beispielen oben dabei heraus und wenn der, der das behauptet, ein wohlerzogenes Pferd hat, dann weiß man nicht, ob das mündlich Behauptete der Wahrheit entspricht. Sagen kann das ja jeder, dass er dem Pferd noch nie einen Klaps gegeben hat. Aber wer weiß schon, was hinter geschlossenen Türen so alles geschieht. Und wenn man nachbohrt und fragt: "Was machst Du denn, wenn Dein Pferd Dich beißt oder tritt", dann wird gesagt, dass das ja schließlich was Anderes sei - versteh ich nicht. Das sind auch bei "den Anderen" die einzigen Gründe für einen Klaps. Der Unterschied scheint eher zu sein, dass die einen es zugeben und die anderen eben nicht.
Eines sollte uns also klar sein: Es gibt einfach Leute, die behaupten viel, wenn der Tag lang ist. Ich hatte auch einmal jemanden zum Training hier, die auf Facebook im Brustton der Überzeugung behauptet, sie würde nur und ausschließlich mit positiver Verstärkung arbeiten. Sie war keine halbe Stunde hier, da hatte sie schon unser bravstes Pferd geschlagen (HIER und HIER nachzulesen). Gerade bei diesem Pferd hätte ich genau das aber eben nicht gemacht. Ist es nicht erstaunlich, dass die, die dazu steht, dass ein Klaps manchmal nötig ist, viel, viel seltener klapst, als die, die Facebook rauf und runter tönt, sie würde nur mit positiver Verstärkung arbeiten? Im Detail ist damals Folgendes passiert.
Wir hatten für diese Zirkusaufführung beim Rodeo üben wollen und da hat
die Zirkustrainerin uns glatt den besten Trick (fast) kaputt gemacht
Wir hatten unserem todbraven Lucky gerade das Steigen am Boden beigebracht und weil sich alle so sehr freuten, wenn er es tat, wollte er es immer wieder zeigen. Wir haben das geduldet, weil die Erfahrung zeigt, dass dieses Verhalten sich nach ein, zwei Wochen von selbst erledigt, wenn man ein ungefragtes Steigen einfach nicht belohnt, zumal das Pony sich immer von uns weg drehte, um niemanden zu gefährden. Und jetzt kommt der springende Punkt: Es ist nicht bei jedem Pferd angebracht, ihm einen Klaps zu geben. Es gibt Pferde, wo das total nach hinten losgeht. Dieses Pferd wollte nach diesem Klaps - dank der schlagenden Zirkustrainerin, die wir ungewollt dafür bezahlt haben, dass sie Zirkustricks abgewöhnt - überhaupt nicht mehr steigen. Es gibt nämlich auch Pferde, die hochsensibel sind und denen man Zeit geben muss. Man muss einschätzen können, ob das Pferd einen aus Angst oder aus Dominanz bedrängt.
Um diese Pferde geht es im nächsten Monat, wo ein Pferd stieg, weil es einen Zirkustrick verweigerte, der Trainer das Erlernen dieses Tricks aber mithilfe der Fußlonge durchsetzen wollte und das Pferd zu Tode kam, weil es sich beim nach hinten überschlagen und das Genick gebrochen hat. Außerdem erkläre ich im September, wie man unerwünschtes Steigen abstellen kann, indem man es ganz bewusst nicht bestraft, sondern abrufbar macht.
Auch in meinen Büchern findet ihr einige Wege, wie man mit umgekehrter Psychologie zu einem leistungsbereiten Pferd kommt, denn der Klaps, damit das Pferd uns nicht bedrängt, ist nur die eine Seite der Medaille, denn wir müssen unsere Pferde auch verstehen und ihren Bedürfnissen gerecht werden (Lest auch die allerneuste Amazon-Rezension - Kopie unterhalb der Buchtipps). Unsere Pferde sind nicht unsere Sklaven. Es geht einerseits um einen goldenen Mittelweg und andererseits um die Kunst, die eine Strategie aus Tausenden zu finden, die für das jeweilige Pferd goldrichtig ist. Dafür muss der Mensch lernen, die Körpersprache des Pferdes zu lesen und sich ins Pferd hinein zu fühlen. Mehr dazu vor allem im ersten und im vierten Buch:




Da bald Bundestagswahl ist, besucht auch meinen POLITISCHEN BLOG, z.B. diese Artikel:
Hier - wie versprochen - die neueste Amazon Rezension zu "Westernreiten meets NHS"

Ein wunderbares Praxisbuch
Dieses Buch ist mit viel Herzblut, gepaart mit einem enormen Fachwissen, geschrieben worden. Die Ergänzungen namhafter Pferdeprofis ergänzen die Beschreibungen des Weges mit Pferden in wunderbarer Weise. Nicola Steiner motiviert in ihrem Buch immer wieder das einzelne Pferd zu sehen und dabei besonders auf die eigene Haltung zu achten, ein Gefühl zu entwickeln was es im Training benötigt. Sie schreibt, dass es schwer ist ein Gefühl für die eigene Haltung und das jeweilige Pferd in einem Buch zu vermitteln. Ich finde, dass ihr dies sehr gut gelungen ist. Es ist kein Methodenbuch, vielmehr fordert es auf sich selber in den Prozess mit einzubeziehen und mit Pferden beim Training gemeinsam zu lernen. Ich kann dies Buch nur empfehlen, besonders den Pferdemenschen, die sich in der Arbeit mit Pferden gerade mal in einer Sackgasse befinden. Es hilft bei sich anzukommen, sein Pferd noch einmal mit anderen Augen zu sehen und dann den Weg des gemeinsamen Lernens zu gehen. Dann ist plötzlich alles ganz leicht.

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